Die Arbeitsgruppe Nahrungsmittelallergie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie legt Positionspapier vor
Bei mir in den Küchenschränken stehen viele verschiedene Mehle und Getreidesorten. Doch das ist längs nicht in allen Küchen dieses Landes der Fall — immer häufiger gibt es dort kein Weizenmehl mehr, kein Dinkelmehl und auch keine normalen Haferflocken. Warum? Weil diese Lebensmittel allesamt Gluten enthalten und sich das Getreideprotein Gluten in den vergangenen Jahren zum Negativ-Star unter den Nahrungsinhaltsstoffen entwickelt hat.
Glutenfreie Lebensmittel sind inzwischen Verkaufshits in deutschen Supermärkten. Vor ein paar Jahren noch waren sie unbeliebte Diätprodukte. Doch auflagenstarke Bücher und Medienberichte bescheinigen dem Gluten alle möglichen gesundheitsschädlichen Wirkungen – mit der Folge, dass viele Menschen freiwillig auf Weizen und andere glutenhaltige Getreide verzichten, weil sie glauben, die entsprechenden Krankheits-Symptome an sich selbst festzustellen.
Für Ärzte und Experten beginnt genau an dieser Stelle das Problem. Denn aufgrund klarer differenzialdiagnostischer Schemata und bekannter Trigger (Auslöser) lassen sich schwere Krankheitsbilder wie entzündliche Darmerkrankungen, Weizenallergie oder Zöliakie heutzutage gut erfassen. Nicht jedoch das vermeintliche Krankheitsbild „Ich glaube, ich reagiere auf Gluten“.
Da immer mehr Menschen über Beschwerden nach dem Verzehr von Weizen klagen (ohne eine echte Weizenallergie oder Zöliakie zu haben), hat sich in der Wissenschaft der zungenbrecherische Begriff Nicht-Zöliakie-Gluten-/Weizen-Sensitivität (NCGS) etabliert. Allerdings ist bis dato nicht nachzuweisen, dass es tatsächlich das Gluten ist, welches den Betroffenen Schwierigkeiten macht. In Versuchen reagieren die meisten (selbstdiagnostizierten) Patienten auf die Gabe von Gluten genauso viel oder wenig wie auf die Gabe eines Placebos.
Auch die Tatsache, dass eine glutenarme Kost die Beschwerden zu mildern vermag, bedeutet nicht zwangsläufig, dass Gluten der wahre Bösewicht ist. Lässt man nämlich sämtliche glutenhaltigen Getreidesorten aus seiner Nahrung raus, so verändert sich die gesamte Mahlzeitenzusammensetzung. In der Regel werden in so einer Situation vermehrt Gemüse, Obst und Hülsenfrüchte gegessen – drei Lebensmittelgruppen, die aufgrund der enthaltenen Ballaststoffe einen großen (positiven!) Einfluss auf die Verdauungstätigkeit haben. So wird z.B. bei Reizdarmpatienten oft eine Verbesserung der Symptomatik festgestellt, wenn die unlöslichen Ballaststoffe aus Getreide reduziert werden zugunsten von löslichen Ballaststoffen aus Gemüse oder Flohsamenschalen. Mit dem Weglassen von Gluten scheint das Ganze aber nichts zu tun zu haben.
Abgesehen davon, dass der freiwillige Verzicht auf Gluten in der Küche nicht ganz einfach umzusetzen und bei Verwendung glutenfreier Getreide-Ersatzprodukte auch recht teuer ist, weist eine große Gruppe von Allergieexperten in ihrem gerade veröffentlichten Positionspapier zudem daraufhin, dass eine medizinisch unbegründete glutenfreie Kost auch Nachteile und Risiken birgt. Dazu gehört v.a., dass auf diese Weise eine echte (bislang unbekannte) Zöliakie verdeckt wird, die Nährstoffzufuhr unzureichend sein kann und es zu verstärkter Obstipation (Verstopfung) kommen kann.
Leider ist eine sichere Diagnose der NCGS derzeit nicht möglich. Denn niemand weiß, wie ein etwaiges Krankheitsgeschehen auf Stoffwechsel-Ebene abläuft. Eine häufig zitierte Theorie besagt, dass eine gestörte Darmbarriere eine Rolle spielen könnte. Aufgrund dieser vielen Ungeklärtheiten ist es für Betroffene umso wichtiger, gar nicht erst mit Selbstversuchen zu starten, sondern sich direkt in die professionelle Betreuung von Allergologen und Ernährungstherapeuten zu begeben. Nur so können zumindest mögliche andere Ursachen systematisch ausgeschlossen werden.
Positionspapier der DGAKI:
Reese I et al., Non-celiac gluten/wheat sensitivity (NCGS) – a current undefined disorder about validated diagnostic criteria and of unknown prevalence. Position statement of the task force on food allergy of the German Society of Allergology and Clinical Immunology (DGAKI). Allergo J Int 2018;27:147-51
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