Köln, im Mai 2018
Sehr geehrter Herr Müller,
sehr geehrte Damen und Herren des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung,
Sie haben kürzlich einen Vorschlag für die Einführung eines solidarischen Grundeinkommens (SGE) vorgelegt, mit dem Sie das System Hartz IV reformieren möchten. Mit dem SGE sollen Menschen, die lange vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen waren, in ein gefördertes Arbeitsverhältnis vermittelt werden. Ich teile Ihre Einschätzung, dass Hartz IV reformbedürftig ist. Ebenso denke ich, dass die Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit für Langzeitarbeitslose ein elementarer Schritt ist und das Ziel von wirtschaftspolitischen Bemühungen sein sollte.
Was bei mir und sehr vielen meiner KollegInnen allerdings auf völliges Unverständnis stößt, ist einer der Tätigkeitsbereiche, den Sie für BezieherInnen des SGE in Betracht ziehen. Unter anderem möchten Sie Langzeitarbeitslose in der „Beratung zu gesunder und ausgewogener Ernährung“ einsetzen.
Das, sehr geehrter Herr Müller, ist ein Affront gegen sämtliche in Deutschland seriös ausgebildeten ErnährungswissenschaftlerInnen und OecotrophologInnen. Ich selbst habe fünf Jahre studiert, um den Titel Dipl. oec. troph. zu erlangen. Für meine Promotion habe ich im Anschluss zusätzliche 4,5 Lebensjahre investiert. Für die Zusammenarbeit mit deutschen Krankenkassen reicht diese jahrelange Ausbildung allerdings trotzdem nicht aus. Denn wollte ich heute die Leistung „Ernährungsberatung“ mit einer Krankenkasse abrechnen, dann müsste ich weitere Zertifikate erwerben und regelmäßige Weiterbildungen nachweisen.
Und Sie wollen jetzt Langzeitarbeitslose nach der „Vermittlung von Grundkenntnissen“ für diesen Job einsetzen? Ich denke und hoffe, dass Sie diesen Gedanken nicht ganz zu Ende gedacht haben. Ernährungsphysiologie ist kein Themenfeld, in dem man einfach aufgrund der Tatsache, dass man drei Mahlzeiten am Tag isst und sich für Kochen interessiert, zum Experten, Coach oder Ratgeber wird. Wie viel Unwissen und – Verzeihung – Mist auf diesem Gebiet verbreitet wird, können Sie jeden Tag in den bunten Blättchen unserer Republik sehen. Halbwissen, Halbwahrheiten, verdrehte Fakten, nicht richtig verstandene und deshalb falsch wiedergegebene Zusammenhänge, Mythen und vermeintliche Sensationsmeldungen richten mehr Schaden an, als dass diese „Informationen“ irgendjemandem irgendetwas nützen.
Eine ausgebildete Ernährungsfachkraft hat u.a. profunde Kenntnisse über
- die Anatomie des Menschen
- die Physiologie und Biochemie der Nahrungsaufnahme und Verdauung
- den Nährstoffbedarf des Menschen in den verschiedenen Lebensphasen
- Ernährungsabhängige Krankheiten
- Allergien und Lebensmittel-Unverträglichkeiten
- Diätetik
- Nährwerte und Nährstoffe von Lebensmitteln
- Lebensmittelzubereitung, -aufbewahrung, -toxizität
- Gesprächsführung und Motivation
Ich möchte Sie deshalb bitten unseren Beruf als extrem qualifizierte Tätigkeit anzuerkennen und darauf zu verzichten in der Öffentlichkeit das Bild zu zeichnen, mit ein bisschen „Nachhilfe“ könne dies jeder.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. rer. nat. Alexa Iwan (Dipl. Ökotrophologin)
P.S. Wer mehr Informationen bzgl. des Vorschlages von Herrn Müller und des DIW zum Solidarischen Grundeinkommen nachlesen möchte, findet diese hier.
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